Erste CO2-Abscheidungsanlagen sollen vor 2030 kommen
In den kommenden fünf Jahren sollen in Deutschland mindestens drei industrielle Großanlagen zur Abscheidung von Kohlendioxid entstehen.
Bisher gibt es keine einzige. Geplant sind die Investitionen an Standorten zur Zement- und Kalkherstellung sowie an einer Müllverbrennungsanlage. Das sieht eine neue Strategie der Bundesregierung zum Umgang mit Kohlenstoff vor, die das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch in die Ressortabstimmung mit den anderen Ministerien gegeben hat.In der 49 Seiten starken "Carbon-Management-Strategie", über die die FAZ berichtet, heißt es, die Regierung strebe an, "dass in Deutschland bereits vor 2030 jeweils mindestens ein großskaliges CO2-Abscheideprojekt in der Zement- und Kalkindustrie sowie an einer Müllverbrennungsanlage in Betrieb genommen wird." Konkrete Orte und Kosten werden nicht genannt. Die "CMS" abgekürzte Strategie ist die Langfassung eines Eckpunktepapiers, welches das Bundeskabinett zusammen mit einer Novelle des Kohlendioxidspeicherungsgesetzes Ende Mai verabschiedet hat. Beide Entwürfe sehen vor, das bisherige Defacto-Verbot der Abscheidung, des Transports, der Verpressung und der Lagerung von CO2 aufzuheben. Auch die Verwendung des gebundenen Gases wird zulässig, genannt Carbon Capture and Utilisation (CCU). Das abgeschiedene Kohlendioxid soll in geologisch geeigneten Formationen im Meeresboden außerhalb von Schutzzonen eingelagert und auch außer Landes gebracht werden können. Die Speicherung an Land ist nur möglich, wenn einzelne Bundesländer das beantragen (Opt-In-Lösung). Die Kohlenstoffverwertung wird sich der Strategie zufolge auf Industrien beschränken, in denen sich der Ausstoß von CO2 überhaupt nicht oder nur schwer vermeiden lässt. Ersteres gilt für Zement und Kalk, weil dort Öl oder Gas nicht nur als Brenn-, sondern auch als Grundstoffe fungieren, die sich bisher nicht substituieren lassen. Ebenso entsteht in der thermischen Abfallbehandlung, der Müllverbrennung, unweigerlich CO2. Die Bundesregierung stellt klar, dass die Kohlenstoffvermeidung auf dem Weg zur geplanten Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 Priorität habe. Dazu gehört der Ausbau erneuerbarer Energien, welche auch die Elektrifizierung von bisher fossil betriebenen Industrien oder Verkehrsträgern ermöglichen sollen. Der Umstieg sei aber nicht in allen Feldern möglich, weshalb kein Weg um CCS und CCU vorbeiführe. Auch Negativemissionen sind auf diese Weise geplant, also das Herausfiltern und Verwahren von CO2 aus der Luft, um zum Beispiel unvermeidbare Emissionen in der Landwirtschaft zu kompensieren. Um Fehlanreize in der Dekarbonisierung zu vermeiden, wird die Anwendung der neuen Techniken auf wenige Felder beschränkt. Völlig ausgeschlossen sind CCS und CCU etwa in der Kohleverstromung, um den bis spätestens 2035 geplanten Kohleausstieg nicht zu gefährden. Die neue Strategie enthält ein "Scoring" für mögliche Einsatzgebiete, eine Art CCS-Ampel. Ganz oben in Dunkelgrün stehen Zement, Kalk und Abfall, etwas darunter in hellerer Farbe die chemische Grundstoffindustrie mit sogenannten Steamcrackern. Auf der gelben Stufe rangieren die mit Gas betriebene Direktreduktion von Stahl sowie die Glasindustrie und die Herstellung sogenannten blauen Wasserstoffs aus Erdgas. Theoretisch möglich sind die neuen Techniken auch für die hellrote Ebene. Hier finden sich die Papier- und Aluminiumherstellung, Hochöfen, aber auch Gaskraftwerke für die Stromerzeugung sowie Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung. Nur der grüne Bereich darf allerdings öffentlich gefördert werden. Damit will die Bundesregierung dem Vorwurf von Umweltverbänden begegnen, sie verlängere die fossile Nutzung. "Der Einsatz von CCS/CCU-Technologien soll die Anstrengungen für die Umstellung auf ein erneuerbares und nachhaltiges Energie- und Wirtschaftssystem nicht untergraben und fossile Geschäftsmodelle nicht verlängern, sondern den größtmöglichen Klimanutzen bringen", heißt es in der Strategie. "Daraus ergibt sich, dass CO2-Abscheidetechnologien hauptsächlich dort eingesetzt werden sollen, wo es zur Vermeidung der CO2-Emissionen aktuell und auch bis langfristig keine Dekarbonisierungsalternativen gibt." Eigentlich will die Bundesregierung den Umgang mit dem unvermeidbaren Kohlendioxidausstoß weitgehend dem Markt überlassen. Das gilt zumindest für die Infrastruktur, also für das nötige Pipelinegeflecht zum CO2-Transport. So teilte das Bundeswirtschaftsministerium am Mittwoch mit, der Aufbau der Leitungen solle "privatwirtschaftlich und marktgetrieben erfolgen". Auch die Begrenzung und wo möglich der Abbau von Regularien ist dem Haus von Robert Habeck (Grüne) ein großes Anliegen. Gleichwohl zeigt sich in der neuen Strategie, dass durchaus weitere Bürokratie nötig werden wird - und womöglich auch ein zusätzlicher Einsatz von Steuergeld. Es gehe um die "möglichst wettbewerbliche, verursachergerecht finanzierte Errichtung und Bereitstellung der CO2-Infrastruktur, insbesondere für CO2-Speicherkapazitäten, CO2-Hubs, das Fernleitungsnetz und dessen regionale Zuleitungen", heißt es in der Strategie. Allerdings seien auch der Staat und seine Finanzen gefragt: "Ergänzend prüft die Bundesregierung auf Grundlage der CMS, ob eine gezielte staatliche Absicherung für Bereiche bereitgestellt werden sollte, in denen ansonsten keine ausreichend Planungssicherheit für die entsprechenden Investitionsentscheidungen gegeben ist." In jedem Falle wolle man "möglicher Monopolbildung" vorbeugen. Konkret sieht das Konzept vor, die CO2-Infrastruktur über Klimaschutzverträge zu fördern. Zusätzlich wird überlegt, die Finanzierung der Infrastruktur auch staatlich abzusichern, etwa über Instrumente der staatlichen Förderbank KfW.