Katastrophenforscher mahnt Neuaufstellung von Zivilschutz an
Der Katastrophenforscher Martin Voss hält angesichts hybrider Bedrohungen etwa durch Russland eine grundlegende Neuaufstellung des Zivilschutzes in Deutschland für notwendig.
"Unser Zivilschutz ist nicht mehr zeitgemäß", sagte der Katastrophenexperte von der Freien Universität Berlin der "Rheinischen Post" (Montagsausgabe). "Den Zivilschutz aus dem Kalten Krieg haben wir praktisch auf null heruntergefahren, Reserven abgebaut, Hilfskrankenhäuser abgeschafft und Schutzbauten entwidmet", erklärte Voss. Das habe damals auch gute Gründe gehabt. "Aber bis heute haben wir den Zivilschutz nicht grundlegend neu aufgestellt. Heute sind wir ganz neuen Bedrohungen ausgesetzt, etwa durch die hybride Kriegsführung Russlands, aber auch vieler anderer Akteure", sagte Voss. Dafür brauche man vor allem ein neues gesellschaftliches Verständnis des Zivilschutzes."Ohne dieses Grundverständnis macht es auch wenig Sinn, über Einzelmaßnahmen wie Schutzräume zu sprechen. Schutzräume sind ein Glied, das erst ziemlich weit hinten in der Kette kommt. Es geht nicht nur darum, sich auf den Einsatz von konventionellen oder atomaren Waffen einzustellen, sondern die gesamte Bandbreite der Kriegsführung im Jahr 2024 zu bedenken." Dabei plädierte Voss auch für transparentere Informationen für die Bürger. "Für eine bessere Vorbereitung der Bevölkerung wäre eine offensive Informationskampagne sinnvoll. Die Bevölkerung ist sehr wohl in der Lage, mit vielen Informationen sehr viel besser umzugehen, als man ihr das gemeinhin unterstellt", sagte Voss. In einer Demokratie seien Transparenz und ein guter Zugang zu Informationen unerlässlich. "Wenn der Breite der Gesellschaft dieser Zugang verwehrt wird, ist das der Boden für Misstrauen, das Manipulateure aller Couleur ausnutzen können. Natürlich sind Sicherheitsaspekte zu beachten, aber der Grundsatz sollte lauten: So viel Transparenz wie möglich, so wenig Geheimhaltung wie nötig", sagte Voss. Auch der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, hält trotz eines gestiegenen Bewusstseins für die Krisenvorsorge weitere Anstrengung beim Zivilschutz für nötig. "Zivilschutz und zivile Verteidigung sind neben der militärischen Verteidigung eine notwendige Säule der Gesamtverteidigung", sagte Tiesler der "Rheinischen Post". "Die Frage, wie gut wir aufgestellt sind, müssen wir daran festmachen, wie gut wir in der Lage sind, mit Krisen und Unterbrechungen unseres Alltags umzugehen", sagte der BBK-Präsident. Das betreffe alle gesellschaftlichen Bereiche, von den staatlichen Organisationen über Wirtschaftsunternehmen bis hin zur Bevölkerung selbst. "Das Bewusstsein für Krisenvorsorge ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und viele haben bereits Vorkehrungen getroffen und Prozesse definiert, die im Notfall greifen. All diese Vorsorgemaßnahmen sind in verschiedenen Notsituationen hilfreich, von Extremwetterlagen über Sabotageakte bis hin zu einem Spannungs- oder Verteidigungsfall", sagte Tiesler, forderte zugleich aber auch: "Die Anstrengungen dafür müssen wir jedoch in den kommenden Jahren noch intensivieren."